Interview
Springen wir gleich mal konkret rein: Julian, was siehst du als zentrale Herausforderungen bei der Entwicklung einer Serie?
Erstmal ist die Entwicklung einer Serie eine sehr breit gefächterte und komplexe Aufgabe. Aber ich denke, das Wichtigste ist, dass man sich im Entwicklungsteam ab einem gewissen Zeitpunkt auf eine hinreichend klare Vision einigt und bereit ist, diese auch hartnäckig zu vertreten. Film ist ein Teamsport – aber es braucht klare Ansagen, welches Spiel überhaupt gespielt wird.
Und im erzählerischen Bereich?
Es gibt ja ein paar „Grundvoraussetzungen“, die gegeben sein sollten. Ein zentraler Aspekt ist in jedem Fall die Welt der Geschichte, in welcher die Erzählung spielt. Diese Welt sollte interessant und faszinierend sein, sich bestenfalls sogar so anfühlen, als hätte man sie so noch nicht gesehen.
Da könnte man nun einwenden, dass die die zahlosen High-School-Dramas, der letzten Jahrzehnte eine andere Sprache sprechen.
Erwischt... (lacht). Nein, im Ernst, an diesem Beispiel lässt sich mein Punkt eigentlich sehr gut illustrieren: Es geht nicht darum, dass die Welt der Geschichte in ihrer Grundlage so noch nie gesehen wurde. Im Gegenteil. High-School-Drama oder High-School-Comedys haben den enormen Vorteil, dass die Schule ein Microkosmos ist, den die meisten Menschen aus eigenem Erleben kennen. Das erleichtert einem die Arbeit enorm, weil dies bereits eine gewisse Struktur vorgibt und gleichzeitig mit einer Erwartungshaltung beim Zuschauer verbunden ist. Und überhaupt eine Erwartungshaltung zu haben ist Gold wert.
Was meinst du damit genau?
Im Grunde ist es simpel: ohne Erwartungshaltung keine Überraschung – und ohne Überraschung keine erfolgreiche Erzählung.
Stimmt das so wirklich? Es gibt ja auch genügend Fachleute die behaupten, dass in erster Linie die emotionale Verbindung, die Identifikation der Zuschauer mit den handelnden Figuren entscheident ist.
Ja, Identikation ist extrem wichtig. Aber ich persönlich glaube, dass wir uns gar nicht so sehr mit der Figur an sich identifizieren, als vielmehr mit dem Konflikt den diese Figur erlebt. Das ist noch mal ein ganz anderes, extrem wichtiges Thema, worüber wir gerne auch noch ausführlich sprechen können.
Gut, das heben wir uns für später auf. Zurück zur Welt der Geschichte.
Es geht wie gesagt weniger darum, dass die Welt der Geschicht in ihrer Grundlage so noch nie gesehen wurde, sondern, dass sie einen neuen Aspekt, einen neuen flavor beinhaltet. Eigentlich heißt es, Bekanntes mit Unbekanntem zu mischen. Oder besser noch: Bekanntes mit Unbekanntem neu aufzuladen. Einige Beispiele die mir spontan aus dem High-School Bereich dazu jetzt einfallen wären: „Glee“, „Wednesday“ oder natürlich „Stranger Things“.
Das klingt ein wenig nach John Truby, der ja immer die Genre-Kombination als Erfolgsformel für zeitgenössische Erzählungen proklamiert.
Schon. Ein Gerne könnte man in gewisser Weise ja auch als eine Art Welt beschreiben, mit einem lose gefassten Set an Regeln und Erwartungen auf Seiten der Zuschauer. Oder wie meine langjährige Schreibpartnerin, Valerie Lasserre, das so schön ausdrückt hat, als ein traditionelles Gericht oder sowas wie eine nationale Kochtradtion. Aber es gibt eben auch Beispiele da ist der Genre-Mix weniger deutlich, wie die hervorragende Donald Glover Serie „Atlanta“, die eigentlich eine sehr tradionelle from-rags-to-riches-story vom Aufstieg eines unterprivilegierten Rappers erzählt – aber eben mit surrealen Anteilen. Also geht es im Kern vielleicht einfach darum, dass man einer bekannten Welt irgendwie ein Element von Unberechenbarkeit hinzufügt, welches Spannung bringt, weil es das Versprechen von weiteren Überraschungen beinhaltet.
Womit wir wieder auf deine Aussage von Überraschung als Kern einer erfolgreichen Erzählung zurückkommen könnten.
Ja, wir lieben es überrascht zu werden. Nicht unbedingt von einer Rechnung die plötzlich morgens im Briefkasten liegt, sondern wenn wir uns in einem sicheren, geschützten Raum als Zuschauer befinden. Und jede gute Überraschung lädt den Aufmerksamkeit-Akku des Zuschauers wieder neu auf, erhöht die Aufmerksamkeit. Aber als Kern würde ich die Überraschung jetzt trotzdem nicht bezeichen. Eher als eine unverzichtbare Zutat.
Was ist denn dann der Kern, wenn nicht die Überraschung?
Ich glaube nicht, dass es den einen, einzigen Kern gibt. Das ist mulitifaktoriell. Erstens: die bereits erwähnte Überraschung. Wir möchten als Zuschauer auf der einen Seite, dass Dinge passieren, die wir nicht vorhergesehen haben, aber – und jetzt wird es tricky – die dennoch folgerichtig sind. Oder noch mal anders formuliert. Wir möchten, dass ziemlich genau das passiert, was wir uns ohnehin schon gedacht haben – aber nicht auf die Art und Weise wie wir es uns gedacht haben, sondern anders, besser, unvorhergesehener.
Gut, ich glaube, diesen Punkt haben wir vestanden.
Ich weiß, das hört sich fast schon selbstverständlich an, ist aber in der Umsetzung viel weniger banal, als man denken würde. Erzählungen funktionieren auch auch verschiedenen Ebenen. Wenn z.B. mal die zwei Genres Drama und Crime gegenüberstellt. Das Drama funktioniert ganz sicher nicht, ohne die bereits erwähnte Identifikation. Wir müssen mit den Figuren mitfühlen können, sonst ist das Drama tot. Aber wenn man sich im Vergleich dazu das in Deutschland extrem beliebte Crime Genre anschaut funktioniert dies für viele Zuschauer eben auch hauptsächlich über den Rätsel-Aspekt des klassischen Who-dunnit. Man kann aber auf jede Fall sagen: auf je mehr Ebenen eine Erzählung funktioniert, um so mehr Suspense wird erzeugt und um so besser funktioniert sie.
Aber bei langlaufenden Serien spielt aber auch die liebgewonnene Gewohnheit eine große Rolle. Die Serienfiguren werden zu „Freunden“ die man gerne wiedersehen möchte.
Stimmt genau. Das habe ich ausgiebig bei meiner Arbeit für die tägliche Serien gelernt. Dieser Community-Aspekt ist ebenfalls ein wichtiger Anteil der Zuschauerbindung erzeugen kann.
Und dieses, nennen wir es mal „Community-Gefühl“, funktioniert anders ist als die Identifikation mit der Figur?
Ich glaube schon. Ich bin der Meinung, wir identifzieren uns weniger mit der Figur an sich, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrem sozio-öknomischen Status, etc. als mit dem zentralen Konflikt der diese Figur umtreibt.
Gib doch mal ein Beispiel.
Nehmen wir die fantastische Serie „Pose“. Sie spielt in der LGBTQ-Community im New York der 80er Jahre. Ich selbst bin weder transgender, noch schwul, noch habe ich jemals versucht einen Drag-Queen Wettbewerb zu gewinnen. Trotzdem saß ich regelmäßig mit Tränen in den Augen vor dem Fernseher, weil der Geschichte ein universeller Konflikt zugrunde liegt, den auch ich nachvollziehen kann: die Figuren sind Außenseiter auf der Suchen nach einem Zuhause, nach Zugehörigkeit in einer Welt in der es scheinbar keinen sicheren Platz für sie gibt.
Und warum glaubst du, funktioniert diese Identifikation mit einem Konflikt?
Weil wir, egal ob wir uns dessen aktiv bewusst sind oder nicht, eben nicht nur nach Eskapismus, nach Ablenkung oder Zerstreung suchen. Was uns noch deutlich mehr anzieht, ist die Suche nach Guidance, ist eine Hilfestellung im Leben. Uns interessiert, wie jemand anderes den selben Konflikt den wir auch durchgemacht haben für sich gelöst hat, wie sie oder er mit dem Problem umgegangen ist. Außerdem ist Räsonanz ein wichtiger Faktor. Als Menschen empfinden wir es als sehr angenehm, wenn wir mit unserem Problem, unserem Konflikt nicht alleine sind, wenn die uns umgegebende Welt im „Gleichklang mit uns schwingt“.
Das wäre dann also wieder der in gewisser Weise ein Community-Aspekt?
Da könntest du Recht haben. So habe ich das tatsächlich noch gar nicht gesehen.
Wenn wir jetzt mal deine Zutaten für eine erfolgreiche Serie zusammentragen wollen, dann wäre da zunnächst einmal eine klare Vision, dann eine bekannte und doch überraschend andersartige Welt und zum Schluss ein zentraler Konflikt, den viele Zuschauer aus eigenem Erleben kennen.
Ja, das ist schon ziemlich nah dran. Aber könnten so natürlich auch die Bausteine für einen Spielfim sein. Für eine Serie brauchen wir natürlich noch viel mehr Erzählstoff, welches dieser Setup generieren können muss. Das Setup für eine Serie muss also komplexer sein.
Was genau meinst du damit?
Das ist auch wieder etwas, dass ich bei der Arbeit in der täglichen Serie ausführlich gelernt habe. Nur eine genügende Komplexität sowohl im Figurengeflecht, den Beziehungen der Figuren zueinander, als auch in der psychologischen Ausgestaltung der einzelnen Charaktere, mit ihren Geheimnissen, Abgründen, blinden Flecken, aber auch starken Zielen und Plänen garantiert, dass über die längere Screentime der Serie immer wieder Neues auftaucht, immer wieder Überraschungen für den Zuschauer erzeugt werden können – ohne, dass diese von außen kommen, also in gewisser Weise plotdriven sind.
Also auf der einen Seite eine klare und leicht zu vermittelnde Vision für die Serie und auf der anderen ein Grundkonstrukt das komplex und vielschichtig ist, um eine Menge an Plot zu generieren.
Genau so ist es. Das sind teilweiwse gegenläufige Bewegungen. Man beginnt mit einer Vision, dann expandiert man diese Vision, gestaltet die Welt der Geschichte, die psychologische Innenwelt der Figuren aus, macht sie komplexer und am Ende muss man dennoch zu einer Klarheit zurückkehren.
Wenn man dir so zuhört, scheint das alles wenig mit der romantsichen Vorstellung des Autorendaseins zu tun zu haben, wo man „von der Muse geküsst“, einfach seiner Kreativität freien lauf lässt.
Mir hilft es, einen handwerklichen Frame zu haben, erklären zu können, warum ich diese oder jene Entscheidung für richtig halte. Aber gibt auch fantastische Autoren, die man nur unter größten Schwierigkeiten dazu bringen kann, überhaupt nur die Outline einer Geschichte zu Papier zu bringen. Sam Levinson der Creator von „Euphoria“ schreibt immer gleich erste Fassungen. Aber das ist eine Art von Vertrauen, die man sich erarbeiten muss. Außerdem hilft es natürlich, dass er gleichzeitig der Regisseur ist und er in diesem Fall vieles auf dem „kurzen Dienstweg“ regeln kann. (lacht)
Da du gerade das Thema Vertrauen angesprochen hast. Wie wichtig ist die Vertrauen in der Zusammenarbeit?
Ein gewisses Maß an Vertrauen ist essentiell. Wenn man Vertrauen auf Seiten der Produktion, auf Seiten der Redaktion spürt, hilft das einem enorm, kreativ zu sein. Eine vertrauensvolle, langjährige Zusammenarbeit ist natürlich genau das, wonach jeder Drehbuchautor sucht.
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